Erzieher erzählen
Tanja aus Neuburg
Ich hatte mich mit 16 Jahren zu einer 5-jährigen Erzieher-Ausbildung entschlossen, die mit der Ausbildung zur Kinderpflegerin begann. Die Ausbildung forderte einerseits einen Schulbesuch, wo man diverse pädagogische, sportliche und kreative Unterrichtseinheiten absolvierte, sowie verschiedene Praktika. Die Praktika fanden in verschiedenen Einrichtungen mit verschiedenen Ansätzen und Altersgruppen statt.
So war ich in einem Hort, einem Kindergarten, einer Kinderkrippe, auf einer Ferienfreizeit, in einer heilpädagogischen Tagesstätte. Die Träger waren jeweils unterschiedlich. Ich empfand es schon damals als sehr anstrengend für die Kinder im Kindergarten immer mit der Masse mitlaufen zu müssen. Es gab nur einen großen Gruppenraum für 25 (!) Kinder und zwei Betreuer, daneben ein abgeschlossener Bewegungsraum, der nur für bestimmte Beschäftigungen genutzt wurde, also nur unter Anleitung. Ebenso der Garten. Ich fand es schlimm, dass die Kinder keinerlei Rückzugsmöglichkeiten aus dem Getümmel und der Lautstärke hatten. Und dass sie im jungen Alter vielen Regeln unterliegen mussten: jetzt wird gegessen (später nicht), jetzt gehen wir raus (später nicht), erzwungene Schlafenszeit und Stuhlkreise (egal ob das allen gefallen hat oder nicht).
Stephanie aus Berlin
Wir sind Erzieher, mein Partner und ich im Doppelpack und sprechen uns deutlich gegen Fremdbetreuung aus. Vor allem weil wir den Alltag so einiger (auch akzeptabler) Einrichtungen kennen. Dennoch ist und bleibt der Stressfaktor im Alltag einer Kita enorm belastend. Für uns Erwachsene und erstrecht für die Kinder. Wir arbeiten übrigens beide nicht mehr in der Kinderbetreuung. Also die Entscheidung uns endgültig gegen Fremdbetreuung zu entscheiden war ein Prozess. Unsere Tochter ist jetzt drei Jahre alt, lange Zeit dachten wir, sie würde mit drei Jahren eingewöhnt werden. Aber jetzt, wo sie nun das Alter erreicht hat, sieht’s wieder ganz anders aus. Anfänglich ging es uns vor allem um entwicklungsbedingte Kriterien. Zu frühe Lösungsprozesse, Bedürfnis nach Mama-Papa-Naher Bindungsperson, zu wenig Zuwendung in einer Kita. Zu wenig Personal. Vor allem die große Frage: können wir dem Personal überhaupt vertrauen. Wie liebevoll, achtsam, wertschätzend sind die Erzieher. Die Fragen und Kritikpunkte ergänzten sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Welche Interessen verfolgt dieses System mit einer so wenig kindgerechten Betreuung. Mit dem Ziel der Unterordnung jedes Einzelnen zum Wohle der Gruppe. Mit der Missachtung persönlicher Bedürfnisse nach Bindung, Nähe und Schutz. Ein System in dem Kinder jeden Tag die Ellenbogen ausstrecken müssen, um sich zu verteidigen, immer auf der Hut zu sein, sich nie wirklich zurückziehen zu können. Ein System in dem Kindern jegliche Privatsphäre beim Verabschieden der Eltern abgenommen wird.
In einer Zeitspanne, in der sich doch die Identität so rasant entwickelt wie nie zuvor. Ein System wo Erzieherinnen entscheiden, ob mein Kind (dieses kleine schutzbedürftige Menschenkind) getröstet werden kann, oder anderes gerade wichtiger ist. Ihr Schnuffeltuch ins Fach getan wird, weil man ja in einer Einrichtung alles teilen muss und freitags Spielzeugtag ist und heute nun mal Montag (überspitzt gesagt). Wo Kinder oft mit zynischen, spitzen Kommentaren konfrontiert werden. Wollen wir dieses System unterstützen? Wollen wir, dass unsere Tochter sich bereits in ihrer Kindheit so anpassen muss? Unsere Antwort lautet nein! Wir haben entschieden unserem Kind in den ersten so prägenden Jahren ihres Lebens einen Raum zu schaffen, in dem sie die Welt als ihr zugewandt und sorglos erleben darf. Was nicht bedeutet, dass es bei uns nicht auch zu kleinen Reibereien kommt. Natürlich lassen sich Konflikte in Beziehungsgeflechten nicht vermeiden, das ist auch gut so. Aber anders als in einer Kita. Weil wir Konflikte achtsam klären und Zeit und Ruhe haben. Vor allem das hochgelobte soziale Lernen ist für Kleinkinder, aber auch für ältere Kinder oft eher belastend als bereichernd. Zu große Gruppen zu viele geballte (oft schlecht begleitete) Konflikte. Und eine oft zu große Überforderung. Die hätten wir Erwachsene übrigens auch! Wer schon mal in einer Teamsitzung, oder „open space“ diskutiert hat und versucht hat mit 15 Erwachsenen ein Thema befriedigend zu diskutieren, oder eigenen Konflikt zu lösen, der könnte dies mit dem Trubel und Gezanke in einer Kindergruppe vergleichen. Das ist meine Meinung zu diesem Thema.
Laura aus Berlin
Ich finde es a b s u r d mein Kind wegzugeben, um andere Kinder zu betreuen. Der Alltag im Kindergarten ist Stress pur für Groß und Klein. Als Mutter ist es manchmal schon schwierig seinem Kind bedürfnisorientiert in allem gerecht zu werden, als Erzieher mit 7 oder mehr Kindern ist es schier unmöglich. Bedürfnisse sind nicht dafür da erfüllt zu werden, sie müssen unterdrückt werden (im Kindergarten). Jeder funktioniert in seiner Rolle, ob er will oder nicht. Es ist ein gesellschafterdachtes System, was dem Zweck dient, Eltern und Kinder zu entfremden, es arbeitet am schlechten Gewissen, welches man aufgedrückt bekommt und zum Wohle aller dienen soll. Ich kann das nicht mehr und will das auch nicht mehr, weder für mein Kind, noch für meinen Arbeitsalltag. Es ist an der Zeit umzudenken, für uns alle!
Was wir zum Teil in der Schule lernten, konnte man bei bestem Willen nicht einhalten, zu viele Kinder, zu starre Regeln. Im Hort hatte ich immer das Gefühl, die Kinder kommen ausgelaugt nach der Schule an und möchten eigentlich nach Hause, draußen allein spielen, zu Freunden. Aber nicht wieder in eine Massenbetreuung, wie sie ja die vielen Stunden davor in der Schule schon stattfand. Alle Kinder waren sichtlich froh, wenn sie endlich nach Hause konnten. Sehr nachvollziehbar! Die Ferienfreizeit war auch eine seltsame Erfahrung für mich, denn mir taten die Kinder leid. Wild zusammen gewürfelt mussten sie mit völlig fremden Erwachsenen in den Urlaub fahren anstatt bei ihren Eltern zu sein. Und auch da herrschten natürlich strenge Regeln und die Wünsche einzelner Kinder konnten nicht berücksichtigt werden. (Was ist das für eine Erholung wenn es selbst in den Ferien weiter geht wie in der Schule?). Wir Betreuer wurden auch von den Kindern beleidigt, was ich darauf zurückführe, dass sie großen Frust hatten. In der Heilpädagogischen Tagesstätte waren Kinder nach der Schule bis abends untergebracht, die "seelisch behindert" waren (was für ein Ausdruck!). Ich las alle ihre Akten. Sie alle waren Opfer von Missbrauch und körperlicher Gewalt. Dies war die einzige Tagesstätte, in der ich die Kinder besser aufgehoben sah, als in ihrem heimischen Umfeld. Denn dort waren sie geschützt und konnten Freundschaften schließen mit anderen Kindern, die ähnliches erlebt hatten.
Als 1-jähriges Berufspraktikum hatte ich mir die Kinderkrippe ausgesucht und freute mich zunächst auf die Kleinsten. Ich war mittlerweile 19 Jahre und hatte 4,5 Jahre Ausbildung hinter mir. Nach einem halben Jahr brach ich das Praktikum ab. Es belastete mich so sehr, dass ich mich morgens übergab und jeden Tag weinte. Die Kinder hatten solche Trennungsschmerzen von ihren Eltern, aber jedes ging anders damit um. Manche weinten und zogen sich vollkommen zurück, andere waren aggressiv und schlugen andere Kinder, wieder andere schienen resigniert zu haben. Trotz Gruppengröße von damals 8 Kindern auf 2 Betreuer war es einfach unmöglich, ihnen die Aufmerksamkeit und Nähe zu geben, die sie so dringend brauchten. Auch hier herrschten natürlich schon starre strenge Regeln, was die Essenzeiten, Schlafens- und Rausgehzeiten anbelangt. Nach "wissenschaftlichem Ernährungsplan" mussten die Kinder essen, es gab keine Ausnahmen oder Sonderwünsche, so dass sogar ich mein Obst heimlich essen sollte, damit es die Kinder nicht sehen und dann auch Obst fordern. Rausgehen zum Sparzieren gehen war nur sehr beschränkt möglich, nur kurz und nur ein paar Kinder (wegen Gefahren). Alle Kinder mussten zur Schlafenszeit schlafen, ob sie müde waren oder nicht. Dazu kam dass die Erzieher unter einander Kriege führten und vor den Kleinen in übelsten Worten übereinander herzogen. Zu den Eltern drang von all dem nichts durch, da wurde immer von Heiter -Sonnenschein berichtet und vorgespielt. Ich wurde dafür kritisiert zu liebevoll zu den Kindern zu sein, denn als "Profi“ darf man keine echte Beziehung mit Liebe zu den Kindern aufbauen. Der Eltern wegen und um sich selbst zu schützen, hieß es.
Auch in der Schule erlebte ich viele angehende Erzieher und Kinderpfleger nicht als die Menschen, die man sich für die Kinderbetreuung wünscht.